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Pflegeversicherung

Pflegestärkungsgesetz II

Nach der Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 wurde zum 01. Januar 2015 das erste Pflegestärkungsgesetz (PFG I) eingeführt. Das PFG I sieht vor, dass Leistungen individueller in Anspruch genommen werden können. Die Pflege sollte hierdurch weiter entwickelt werden und die Unterstützung für Pflegebedürftige erhöht werden.

Am 01.01.2017 ist das 2. Pflegestärkungsgesetz (PFG II) in Kraft getreten. Zentraler Punkt der Neuregelung ist ein geänderter Pflegebedürftigkeitsbegriff. Zudem erfolgt die Einstufung nicht mehr, wie bis 2016, in 3 Pflegestufen, sondern in 5 Pflegegraden. Dies soll dazu dienen, dass künftig die individuelle Pflege – und Lebenssituation- berücksichtigt wird. Dies ist nunmehr unabhängig davon, ob eine körperliche, geistige oder psychische Beeinträchtigung vorliegt. Insbesondere wird eine verbesserte Einstufung vom Menschen mit Demenz erzielt.

Was bringt das Pflegestärkungsgesetz II für Pflegebedürftige?

Für Menschen, die bereits zum Stichtag 31.12.2016 Leistungen der Pflegeversicherungen bezogen haben, erfolgt die Überleitung in die neuen Pflegegrade unbürokratisch. Das heißt, Menschen mit Pflegestufe I werden in den Pflegegrad 2, mit Pflegestufe II in den Pflegegrad 3, mit Pflegestufe III in den Pflegegrad 4 und bei Pflegestufe III mit einer Härtefallregelung in den Pflegegrad 5 eingestuft. Menschen mit einer Demenzerkrankung bzw. sonstigen geistigen Einschränkungen werden um jeweils 2 Grade höher eingestuft. Wurde dem Pflegebedürftigen mit einer Demenzerkrankung bspw. bisher die Pflegestufe I zuerkannt, erfolgt eine Einstufung in den Pflegegrad III.

Für Anträge ab Januar 2017 gilt der völlig geänderte Pflegebegriff. Maßgeblich für das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 14 SGB XI sind nunmehr die Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder Fähigkeitsstörungen in sechs Bereichen (Module):

Mobilität
(z.B. Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen etc.)

Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
(z.B. z.B. örtliche und zeitliche Orientierung etc.)

Verhaltensweisen und psychischen Problemlagen
(z.B. nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten)

Selbstversorgung
(z.B. Körperpflege, Ernährung etc. -> hierunter wurde bisher die „Grundpflege“ verstanden)

Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
(z.B. Medikation, Wundversorgung, Arztbesuche, Therapieeinhaltung)

Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte
(z.B. Gestaltung des Tagesablaufs)

Nach dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff ist maßgeblich nicht mehr der Zeitaufwand für alltägliche Verrichtungen, wie etwa für Hilfestellungen bei Toilettengängen, beim Anziehen, Waschen etc. (Grundpflege). Maßgeblich ist nunmehr, welchen Hilfebedarf der Pflegebedürftige bei der Bewältigung seines gesamten Alltags hat. Bei der Festlegung des Pflegegrades werden den oben genannten 6 Bereichen unterschiedliche Wertigkeiten bzw. Prozentsätzen zugeordnet.

Mobilität 10 %

Kognitive und kommunikative Fähigkeiten 15 %

Verhaltensweisen und psychischen Problemlagen 15 %

Selbstversorgung 40 %

Bewältigung und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen 20 %

Gestaltung des Alltagslebens / sozialer Kontakte 15 %

Hierzu werden die individuellen Beeinträchtigungen und Fähigkeiten des Pflegebedürftigen erfasst. Durch die Einstufung in 5 Pflegegrade soll eine passgenauere und bessere Erfassung der individuellen Beeinträchtigungen und Fähigkeiten des Pflegebedürftigen gewährleistet werden. Da nunmehr auch die geistigen und psychischen Beeinträchtigungen gleichberechtigt mit den körperlichen Beeinträchtigungen erfasst und einbezogen werden, führt dies zu einer sachgerechten Ermittlung der Bedürfnisse von Demenzkranken bzw. von Pflegebedürftigen, die von geistigen und seelischen Beeinträchtigungen betroffen sind.

Zur Ermittlung des konkreten Pflegegrades wird jedem der 6 Bereiche, also für die Bereiche Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychischen Problemlagen, Selbstversorgung, Bewältigung und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen und Gestaltung des Alltagslebens / sozialer Kontakte Einzelpunkte zugeordnet und diese dann – unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Gewichtung addiert.

Nach Ermittlung der Gesamtpunktzahl erfolgt dann die Zuordnung der einzelnen Pflegegrade

Pflegegrad 1: geringe Beeinträchtigung der Selbständigkeit (ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkte)
Pflegegrad 2: erhebliche Beeinträchtigung der Selbständigkeit (ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkte)
Pflegegrad 3: schwere Beeinträchtigung der Selbständigkeit (ab 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkte)
Pflegegrad 4: schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit (ab 70 bis unter 90 Gesamtpunkte)
Pflegegrad 5: schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung (ab 90 bis 100 Gesamtpunkte)

Leistungen der Pflegekasse können Pflegebedürftige in Anspruch nehmen, wenn ein Pflegegrad zwischen 2 bis 5 festgestellt wurde.

Das Pflegegeld (Pflege erfolgt durch Angehörige zu Hause) beträgt ab 2017:
Pflegegrad 2 = 316 EUR
Pflegegrad 3 = 545 EUR
Pflegegrad 4 = 728 EUR
Pflegegrad 5 = 901 EUR

Die Pflegesachleistungen (Pflege zu Hause durch Pflegedienst) betragen ab 2017:
Pflegegrad 2 = 689 EUR
Pflegegrad 3 = 1.298 EUR
Pflegegrad 4 = 1.612 EUR
Pflegegrad 5 = 1.995 EUR

Leistungen zur vollstationären Pflege betragen ab 2017
Pflegegrad 2 = 770 EUR
Pflegegrad 3 = 1.262 EUR
Pflegegrad 4 = 1.775 EUR
Pflegegrad 5 = 2.005 EUR

Anspruch auf stationäre Betreuungsangebote
Pflegebedürftige, die in einer stationären Pflegeeinrichtung gepflegt werden, haben einen Anspruch auf zusätzliche Betreuung und Aktivierung (Vorlesen, Spaziergänge etc.). Es geht also künftig nicht mehr allein nur um die körperliche Versorgung des Pflegebedürftigen.

Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel
Empfiehlt der Medizinische Dienst der Krankenkasse bereits in seinem Gutachten Hilfsmittel bzw. Pflegehilfsmittel, muss der Pflegebedürftige keinen entsprechenden Antrag stellen. Die Empfehlungen des medizinischen Dienstes werden automatisch an die Kranken- bzw. Pflegekassen weitergeleitet. Der Antrag gilt damit als gestellt. Werden Hilfs- bzw. Hilfspflegemittel durch den medizinischen Dienst empfohlen, verzichten die Krankenkassen üblicherweise auch auf eine entsprechende Prüfung.

Was bringt das Pflegstärkungsgesetz II den pflegenden Angehörigen?

Durch das Pflegestärkungsgesetz II sollen pflegende Angehörige besser abgesichert werden. Für diese Personen werden Rentenbeiträge in die Rentenversicherung gezahlt, wenn sie einen Pflegebedürftigen mit einem Pflegegrad von 2 oder höher in einem zeitlichen Umfang von mind. 10 Stunden/Woche, verteilt auf regelmäßig mind. 2 Tage in der Woche zu Hause pflegen. Möglich ist es auch, dass die Pflegezeiten von 2 oder mehreren Pflegebedürftigen zusammen gerechnet werden.

Aber Achtung! Rentenbeiträge werden nicht gezahlt, wenn die Pflegeperson bereits eine Altersrente bezieht oder mehr als 30 Stunden/Woche erwerbstätig ist.

Für Pflegepersonen, die wegen der Pflege einer anderen Person ihre Erwerbstätigkeit aufgeben, zahlt die Pflegeversicherung auch Beiträge in die Arbeitslosenversicherung. Voraussetzung ist allerdings auch hier, dass dem Pflegebedürftigen mindestens Pflegegrad 2 zuerkannt worden ist. Zudem werden Beiträge zur Arbeitslosenversicherung ebenfalls nur gezahlt, wenn der Pflegebedürftige wenigstens 10 Stunden/Woche, verteilt auf regelmäßig mind. 2 Tage in der Woche, gepflegt wird. Eine Zusammenrechnung von Pflegezeiten ist auch hier möglich, wenn der Pflegende 2 oder mehr Pflegebedürftige pflegt. Damit haben Pflegeperson (zumeist pflegende Angehörige) einen Anspruch auf ALG I und auf sonstige Leistungen der Arbeitsförderung, falls ein Einstieg in eine Beschäftigung nach Ende der Pflegetätigkeit nicht sogleich gelingt.

Insgesamt ist zu erwarten, dass das Pflegestärkungsgesetz II eine deutliche Verbesserung für die Betroffenen darstellen wird. Insbesondere für Demenzkranke, deren Bedürfnisse bisher nur völlig unzureichend berücksichtig wurden. Es wird nicht nur darauf geachtet, ob der Pflegebedürftige seinen Alltag nicht nur theoretisch, sondern auch tatsächlich praktisch meistern kann oder nicht. Die „Minutenpflege“, die bis 2016 den Pflegebedarf daran festmachte, wie lange die Pflegehandlungen dauerten, gilt damit nicht mehr.

Um dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) bei der Begutachtung der Pflegebedürftigkeit präzise Angaben über den Pflegebedarf machen zu können, empfiehlt es sich, vorher ein sogenanntes Pflegetagebuch zu führen. Dieses sollte mindestens eine Woche lang geführt werden. Darin wird festgehalten, wie lange einzelne Tätigkeiten dauern und wann und wie oft am Tag sie verrichtet werden. Zudem wird notiert, ob die Person bei diesen Tätigkeiten Unterstützung, Anleitung oder Beaufsichtigung benötigt oder ob sie sogar teilweise oder vollständig von einer Pflegeperson übernommen werden müssen.

Kritisch ist allerdings anzumerken, dass die Bewertung der einzelnen Bereiche, in denen der Pflegebedürftige der Hilfe bedarf, nach einem komplizierten Punktesystem erfolgt, welches für den Laien vermutlich nur schwer nachvollziehbar sein wird.

Im Zweifel sollte daher ein Fachanwalt bzw. eine Fachanwältin für Sozialrecht zu Rate gezogen werden.

Im Zweifel sollte daher ein Fachanwalt bzw. eine Fachanwältin für Sozialrecht zu Rate gezogen werden.

EDDA KNIPKER

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